«Ich konnte es einfach nicht tun»

Arabische Halbinsel: Eigentlich müsste er Mahmoud* umbringen. Seinen eigenen Sohn, weil er es gewagt hatte, die Familie zu verraten. Wie konnte er nur? Der Islam hatte die Familie im Tiefsten zusammengehalten und war das Heiligste. Jetzt war sein Sohn einer, der diesen westlichen Christen nachlief, die die ganze Welt durcheinanderbrachten. Es gab nur einen Weg, das wieder in Ordnung zu bringen. Mahmoud musste sterben, und als Familien-Oberhaupt war es seine Aufgabe, ihn zu töten.

Es schmerzte Ali*, so zu denken, aber er schob den Schmerz auf die Seite. Die Ehre war grösser – die Ehre der ganzen Verwandtschaft – seiner Frau, der Kinder, deren Kinder, der vielen Cousins und Cousinen, der Grosseltern in den Dörfern. Seine Töchter hatten nur eine Zukunft, wenn sie heiraten konnten, und sie konnten nur heiraten, wenn die Familie angesehen war. Die Söhne mussten gute Jobs finden, und wie sollten sie das tun, wenn ihr Bruder ein Abtrünniger war? Das Glück so vieler Menschen hing daran, und Ali war dafür verantwortlich. Er überlegte sich schon, wie er die befürchtete Tat vollstrecken würde. Es musste schnell gehen.

Aber dann kam alles anders. Eine schlimme Not überkam das ganze Quartier. Die Menschen waren verzweifelt. Niemand wusste, was zu tun war. Und Mahmoud war da. Er übernahm die Verantwortung, er kümmerte sich um andere. In Alis Augen verwandelte er sich vom Abschaum in einen Helden. Ali war erstaunt. Warum blieb er und floh nicht? Warum gab er alles für die Nachbarn, die schlecht über ihn redeten? Und warum setzte er sich für seinen Vater ein, der ihm den Todesstoss geben wollte?

Ali beobachtete seinen Sohn über längere Zeit. Er war anders als vorher. Irgendwie hatte er eine Ausstrahlung wie ein gutmütiger Scheich. Er hatte viele schlechte Eigenschaften abgelegt. Das spürte die ganze Nachbarschaft. Ali brachte es nicht übers Herz. Er konnte diesen Menschen nicht auslöschen. Im Gegenteil: Er wurde richtig stolz auf ihn. Auf seinen Sohn Mahmoud, den Christen.

*Symbolbild