«Das Gebet ist unsere Waffe»

China: Die Corona-Pandemie hat ihren Ursprung in China. Aber die Medien haben erst wenig darüber berichtet, wie die Menschen dort unter den Einschränkungen leiden. Auch die christlichen Untergrundgemeinden spüren deutliche Folgen. Die HMK konnte einen der schätzungsweise 97 Millionen Mitglieder chinesischer Untergrundgemeinden interviewen.

Wie steht es momentan um die Bürgerrechte und Freiheiten der Menschen in China?
Seit Ausbruch des Coronavirus in Wuhan ist die Regierung von einer Nulltoleranzpolitik gegenüber dem Virus besessen. Das hat sich in harten Massnahmen geäussert, die viele Chinesinnen und Chinesen schwer getroffen haben. Aber wer kann schon auf seinen Rechten beharren oder Missfallen ausdrücken, wenn ganze Städte im Nu komplett abgeriegelt werden? Jede Kritik an den Methoden wird hart bestraft. Deswegen schweigen die meisten. Im Namen der Sicherheit überwacht die Regierung genau, wo man sich aufhält, welche Webseiten man besucht oder was man auf Weibo schreibt (der chinesischen Version von Twitter).

Im Vorfeld der letzten Olympischen Spiele sprachen sich viele gegen China als Gastgeber aus. Was dachten Christen in China darüber?
Die offiziellen Kirchen, die von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) kontrolliert werden, vertraten die Linie der Regierung. Aber in den Untergrundgemeinden blieben die meisten passiv, weil sie dachten, dass sie als Minderheit in politischen Fragen sowieso keinen Einfluss nehmen können. Ich persönlich war mit der Opposition einverstanden.

Was denkt der normale Bürger in China über die Untergrundgemeinden?
Wenn man Kommentare auf Weibo oder bekannten Webseiten durchliest, merkt man, dass viele Menschen an chinafeindliche, westliche Verschwörungen glauben, welche die chinesischen Untergrundgemeinden unterstützen. Sogar einige meiner Freunde sind skeptischer gegenüber Christen geworden.

Warst du selber schon einmal mit Verfolgung konfrontiert?
Im Jahr 2011 doktorierte ich in Peking. Damals musste meine Gemeinde eine schwierige Entscheidung treffen. Die Regierung hatte den Schlüssel zu unserem neu gekauften Versammlungsort beschlagnahmt. Die Benutzung unserer bisher gemieteten Räume war eingeschränkt. Also entschieden wir uns, unsere Gottesdienste im Freien auf dem Sino-Steel-Platz in Peking abzuhalten.

Eines Morgens war die Polizei da, steckte uns in Busse und brachte uns in eine nahegelegene Grundschule. Mehrere Stunden lang wurden wir in ein Klassenzimmer gesperrt. Dort beteten wir für die Polizei und die Regierung. Schliesslich brachten sie uns zur Polizeistation und verlangten von uns, eine Erklärung zu unterschreiben, dass wir fortan nicht mehr am Gottesdienst teilnehmen würden. Ich weigerte mich. Obwohl ich am Ende freigelassen wurde, erlebe ich seither immer wieder Verleumdungen, Anschuldigungen und Drohungen. 2014 verbrachte ich sieben Tage im Gefängnis, weil ich wieder versuchte, zum Gottesdienst auf dem Platz zu gehen. Im März 2019 wurden sämtliche Aktivitäten meiner Gemeinde als illegal erklärt. Die Handys meiner Gemeindemitglieder werden abgehört. Nun findet alles im Untergrund statt und wir müssen sehr vorsichtig sein.

Obschon die Restriktionen in China viel strenger sind als in anderen Ländern, praktizieren Christen weiterhin ihren Glauben. Warum?
Es liegt nicht an unserem Mut, unserer Weisheit oder unseren eigenen Fähigkeiten. Wir haben untereinander ein Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Verfolgung. Schwierige Zeiten schweissen uns zusammen. Das Gebet ist unsere einzige Waffe gegen die harten Umstände.

Was brauchen Christen in China am dringendsten?
Wegen den Restriktionen haben viele Gemeinden ihre Versammlungsorte verloren und die Beziehungen unter Christen gehen auseinander. Ich befürchte, dass die Gemeinden dadurch schwächer werden – in einer Zeit, in der wir besonders ein Zeugnis sein sollten. Wir müssen unsere Gemeinschaft stärken und beten, dass Gott mehr treue Arbeiterinnen und Arbeiter in seine Gemeinde schickt.

Was können Christen in der Schweiz von den Christen in China lernen?
Westliche Gemeinden haben einen ganz anderen kulturellen Kontext, deshalb ist diese Frage schwierig zu beantworten. Aber Christen in China haben mehr Erfahrung mit Widerständen. Wir haben keine andere Wahl, als uns voll und ganz auf unseren Glauben zu verlassen.