«Dankbar, dass ich noch lebe»

Nigeria: Lydia* erzählt uns ihre Geschichte:

«Als sie das erste Mal in unser Dorf kamen, attackierten sie die Kirche und erschossen den Kirchenwächter. Sobald wir die ersten Schüsse hörten, rannten wir entsetzt in die nahen Berge. Nach einer Weile dachten wir, dass die Boko-Haram-Kämpfer nicht mehr wiederkommen würden, und deshalb gingen wir zurück ins Dorf. Unser Leben begann von vorne. Doch nach einigen Wochen waren die Terroristen wieder da. Die Männer unseres Dorfes beschlossen, dass nur die Frauen und Kinder fliehen sollten. Sie selbst wollten kämpfen. Aber das war keine gute Idee. Es waren zu viele Angreifer. Schon bald folgten sie uns und flüchteten in die Berge.

In der Zeit zerstörten die Boko-Haram-Kämpfer unser ganzes Dorf. Und dann spürten sie uns auf. Sie verbrannten alles, was wir mitgenommen hatten, töteten drei Menschen und entführten mehrere Mädchen. Zum Glück gelang uns die Flucht. Wir blieben noch drei Monate in den Bergen versteckt. Drei lange, schwierige Monate.

Dann beschlossen wir, eine neue Heimat zu suchen. Wir flohen über die Grenze nach Kamerun – als Teil einer grossen Gruppe. In Zamga, dem nächsten Dorf, wollten wir bleiben. Doch hier gab es Cholera. Viele Menschen waren krank. Innerhalb von ein paar Tagen starben auch einige aus unserer Gruppe – unter ihnen meine Schwester Naomi*. Ich vermisse sie sehr.

Wir wussten nicht, wie es weitergehen sollte – sollten wir bleiben oder so schnell wie möglich weiterfliehen? Meine Familie wollte meine Schwester beerdigen. Und dann geschah es wieder. Mitten in der Nacht hörten wir Schreie und Schüsse. Es war Boko Haram! ‹Wir bleiben alle hier drin, niemand verlässt das Gebäude!›, rief ein Mann. Ich hatte wahnsinnige Angst. Wir legten uns auf den Boden. Auch die Männer des Dorfes hatten Gewehre und sie gingen zu den Fenstern. Kugeln flogen hin und her. Ich schrie. Und nicht nur ich – alle, die am Boden lagen, schrien. Wir flehten Gott an, uns vor den Kugeln zu beschützen. Nach einer Stunde war es vorbei und wir rannten – so schnell wir konnten – in den Wald.

Rennen, schlafen, rennen, schlafen… Egal, wo wir als grosse Gruppe auftauchten – kurze Zeit später kamen Jeeps mit bärtigen Männern, die auf uns schossen. Wir waren nirgendwo sicher. In einem weiteren Dorf, das wir erreichten, gab es wieder Cholera. Viele unserer Leute starben daran. Dann liefen wir zu Fuss den ganzen Weg nach Mokolo. Dort wurden wir von Helferinnen und Helfern in ein Lager gebracht. Hier waren wir zum ersten Mal in Sicherheit. Wir bekamen zu essen und ruhten uns aus. Ich lebe jetzt hier im Flüchtlingscamp. Meine Familie ist in Sicherheit. Trotz allen Verlusten bin so dankbar, dass ich all das überlebt habe. Es ist ein Geschenk Gottes!»

*Symbolbild, Name von der Redaktion geändert.